Der Motor lies den Führerstand sanft vibrieren - Kröv, Weinlese 2004

Der Motor lies den Führerstand sanft vibrieren. Stetig verschwanden Meter um Meter Weinreben unter meinen Füßen und trennten mit großem Getöse die Trauben von der Rebe. Der Blick über den Wingert in 5 Metern Höhe war ungewohnt. Auf einem Vollernter, ein maschinelles Lesegerät, das in einem Schlitz zwischen den Rädern, die Weinreben überfährt und mit Kunstoffstangen in entsprechender Schwingumg die richtigen Trauben vom Stock trennt, durchmaß ich in weniger als einer Dreiviertelstunde die Arbeit, die 10 Pflücker einen ganzen Tag gehabt hätten, 2.745 Meter Wingert. Begeistert kletterte ich vom Vollernter. Offenbar sah man mir meine Begeisterung an. Vorausgesetzt, ich könnte mir den Oktober frei nehmen, könnte ich mit Autoführerschein sofort anfangen. Christoph, der Chef des Unternehmens hatte die Fahrerkabine als Büro umfunktioniert, in dem er Leseaufträge, Kaufangebote und Neudispositionen entgegennahm und...meine Bewrbung. Für 250 EURO war der Wingert abgeerntet und wir und die Polen arbeitslos. Also wurden Flaschen etikettiert, was wir den Kindern auch gerne gegönnt hätten, aber die schliefen tief und tauchten rechtzeitig zum Mittagessen auf.

Sie wirkten noch ein wenig verschlafen, als Gundi Käsespätzle und Leberkäse nebst Spinat auftischte. Aber sie griffen begeistert zu ohne wirklich wach zu werden. Immerhin waren sie sofort bereit, die Spuren von exzessiven Fernehkonsums in der guten Stube von Gundi und Gerd restlos zu beseitigen.

Gundi schlug, mangels Arbeit eine weiteres tourostisches Highlight vor, die Besteigung des Bremmer Klettersteiges. An einer der schönsten Moselschleifen von Bremm bis Eller ist ein alpiner Klettersteig mit Leitern und Seilen angelegt, der durch abenteuerlich gelegene Wingerte mit atemberaubender Sicht auf die Mosel führt.

Nachdem Nina vergeblich versucht hatte, David und Kim zum Mitkommen zu bewegen, entwischten sie mit dem Skateboard. "Die brauchen eine harte männliche Hand", meinte sie entnervt. Durch meine jüngste Thrillerlektüre versiert, schnitten wir ihnen mit zwei Autos die Fluchtwege ab und umstellten den Schulhof. David war so perplex, dass er seine Kippe nicht schnell genug verschwinden lassen konnte. Der Rest war easy, Abführung zum Wandern, man muss die Jugend in diesem Alter halt zum Glück zwingen. Mit Gundi, Nina und Yvonne ging es ein paar Moselschleifen weiter. Gundi wollte abkürzen, verfuhr sich aber, was die Stimmung in dem mit Nina und den Jungs besetzten Auto spürbar steigerte. Einige KJilometer Schlammwege danach, standen wir schließlich am Einstieg. Gleich an der Pfarrkirche von Bremm ging es in den steilen Weinberg. Schieferetreppchen und schmale Pfade, nur durch ein paar abenteuerlich platzierte Weinreben gesichert schraubten uns in die Höhe. Noch markierte David den Desintersessierten aber als Frisch Ertappter war er nicht mehr besonders aufmüpfig. Kim wurde schon ein wenig stiller, zeigte aber zunehmend Profil, indem er sich mit David von uns absetzte, aber winkend noch Kontakt zu uns hielt. Die Stellen, an denen uns die Jungs zuwinkten, wirkten auf uns immer schwindelerregender. Sie schienen auf einen einsame Felsen im Nichts zu stehen und von unserem jeweiligen Standpunkt aus konnte man sich einfach nicht vorstellen, wie man jemals dorthingelangen konnte. Dann verlor sich die Spur. Auch entgegenkommende Wanderere hatten zwei 14-jährige beim besten Willen nicht gesehen("Wäre uns bestimmt aufgefallen, nein, wirklich nicht"). Unruhe machte sich breit, aber ich glaubte als einzig verbliebener Mann die Damen damit zu beruhigen, dass die Jungs einfach schneller sind als die wandernden Rentner und der Drang zum Supermarkt wesentlich größer, als man es sich vorstellen könne kurz nachdem man ein üppiges Mittagessen eingenommen hat, das eigentlich nur ein Frühstück ist. So brachten wir in Würde die Leiterchen, Treppchen, abgrundnahen Weglein und Aussichtspunkte hinter uns. In Eller angekommen kamen uns die Jungs bald entgegegn. Beide hatten etwa auf der Hälfte des Weges gemerkt, dass sie massiv auf Toilette mussten und nur noch ein Ziel gekannt. Danach waren sie wach. Im Nachbarort, fanden wir in einem alten Gewölbekeller, der auf unser rüstiges Rentnerpublikum ausgerichte war, bei original Schlagermusik der 70er ("Grihiiescher Wein") etwas Labung bei Wasser, Cola und einem Salätchen. Auf dem Parkplatz verabschiedeten wir uns von Nina, während Gundi mich bat, alle nach Hause zu fahren. Auf dem Rückweg an unzähligen Moselwindungen vorbei, bekannte Gundi, dass sie sich solche Freiheiten früher hötte gönnen sollen. Aber inzwischen habe sie ja den Mut und freute sich über den gelungenen Ausflug, während ihre Männer arbeiteten.

Davisd musste beim NORMA in Kröv abgesetzt werden, weil er sich einer drohenden Unterzuckerung näherte. Kim schien sich noch unter Kontrolle zu haben. Und dann geschah das Außergewöhnliche. Hatten die Jungs noch am Mittag tatenlos zugesehen, wie ihre Arbeit, nämlich das Etikettieren der Flaschen, von anderen übernommen wurde, liessen sie nach kurzer Einweisung nun keinen mehr an die Arbeitstische. Schnell hatten sie sich sozialiisert. Der Winzer von heute hat eine leistungsfähige Anlage im Keller. Schnell dockte Kim seinen MP3-Player an die Anlage und selbst zur Freude von Jan lief die Arbeit bei Hiphop wie geschmiert, lästigerweise unterbrochen vom Abendessen. Das erhielt aber wegen einer adhoc von Gerd angesetzten Weinprobe ("Probiert mal den und den...", lauter alte Tröpfchen) schnell Eigendynamik und hob die Stimmung der Jungs allein wegen des Dabeiseins. Nachdem alle Jahrgänge, zu denen sich bei den am Tisch sitzenden Bezuge aufbauen liessen ("Ach 1988, das war doch als Stanis zum ersten Mal bei uns war", " 90, Kim, da bist du doch geboren..." usw. 1978 haben wir jedenfalls auch geschafft, aber daszu ist keinem was eingefallen), durchprobiert waren, gingen die Jungs mit Fanta zum Nachspülem an die Arbeit und Gerd drohte Ihnen, den geraden Sitz der Etiketten nachzuprüfen. Und so, während die Musik bis ins Gästefrühstückszimmer des Staffelter Hofes wummert, habe ich mich als ordentlicher und gewissenhafter Chronist davon überzeugen können, dass die Arbeit ordnungsgemäß erledigt wird. Die Arbeitsteilung sieht so aus, dass David am Leimbrett steht und virtuos die Papieretiketten einleimt, auf die Flasche platziert, während Kim mit gutem Auge feinste Korrekturen anbringt und die Ecken mit einem Geschirrtuch glattstreicht, "ziemlich zügig", wie er meint.

Nun gehören sie endlich dazu, die jungen MÄNNER, zu Gerd und Jan und Stanis und Jurek, arbeiten spät, hören laute Musik und sehen die sich zunehmend füllende Gitterbox als Ergebnis. Heute werden sie erschöpft ins Bett sinken und fühlen, dass sie ganze Arbeit geleistet haben und irgendwann wie ich auf dem vibrierenden Vollernter sitzen und denken, yeah, it's a man's world...