Die kleine Grenzschützerin - Im ICE nach Berlin

ICE-Fahren ist ja seit einiger Zeit Fliegen auf Höhe Null (Ground Zero klänge ja auch in wenig makaber). Ich öffne meine Akten, docke meine Ohrhörer an den Reisesessel, sauge den gemeldeten Stau am Kamener Kreuz auf und wo noch alles, blicke auf die Berufsverkehrskolonnen am Deutzer Bahnhof und dämmere einem Tag im Harz entgegen. Auf den schönen Münsterländer Weiden blinzelt mir kurz die Sonne entgegen und eine Herde robuster Füllen schüttelt sich. Neben mir krault eine junge sonnenbankgebräunte Blondbundesgrenzschützerin ihren Diensthund auf dem Weg in die Hauptstadt und sucht das Gespräch in der etwas dämmrigen Donnerstagbusinessschlummersphäre. Der Hund habe eine besondere Ausbildung zum Aufspüren von Sprengstoffen. Ob das im Moment ein Problem sei? Das dürfe sie nicht sagen, aber leider gehe es für sie immer zwischen Bonn hin und her. Gerne hätte ich sie gefragt, ob sie als kleines Mädchen auch Angst vor Hunden gehabt habe und ihr Trauma überwunden habe. Ob ihr Hund sich denn schon an Berlin gewöhnt habe, an Reichstag und Ministerien und - das habe ich mich dann doch getraut - auch Schröder riechen könne? Das sei alles Routine mit der Zeit, das bekomme sie überhaupt nicht mehr mit. Ach denke ich, so ein Beruf kann so desillusionierend sein, wenn man von Dienst wegen nix erzählen darf und selbst so ein süßer Hund die kleinen Osamas der BRD suchen muss. Was ich denn so mache? Nun ja, ich muss ja nicht dienstlich schweigen. Also sage ich, das ich Bücher mache, juristische, wie ich nach einer kurzen Pause anfüge. Ja, die habe sie auch in der Ausbildung lesen müssen, jetzt interessiere sie mehr Ken Follet, das sei spannend (wahrscheinlich spannender auch als in Berlinbonn nach Sprengstoff schnüffeln). Und der Koffer sei voller Manuskripte? Ein wenig wundere ich mich schon über diese Indiskretion, vielleicht ist es ja sogar eine Agentin vom Bundesnachrichtendienst in BGS-Verkleidung, aber dann fällt mir ein, dass ich pausenlos Papier aus dem Koffer gezogen habe. Ja, meistens seien kommende Bücher oder Buchideen drin, ein Ken Follet wäre sicher netter, aber professionell gesehen, wäre die Bearbeitung von Autorenmanuskripte immer Arbeit und von Unterhaltungsliteratur verstehe ich nichts. Das Gespräch ebbt ab, weil sich ein Schwung Geschäftsleute neu im Waggon sortiert. Doch dann geschieht das Ungeheuerliche. Ob ich auf Franka kurz Acht geben könne. Gerne und am liebsten hätte ich branchenüblich mit "Ich tu auch nix" geantwortet. Und da stehe ich für kurze 5 Minuten im Dienste des Bundesnachrichtendienst oder des BGS oder vielleicht nur einer kleinen Beamtin, die sich nicht mit Franka in das WC zwängen wollte, Seite an Seite mit Schröders oder Raus oder Montes Wachhund. Ich erreiche Hannover und meine Beamtin bleibt im Zug, muss also nicht Doris im Zooviertel bewachen. Ich wünsche Ihr Lebwohl und mache mich auf die letzte Etappe nach Göttingen auf.