Ninas mütterlichen Instinkte - Weinlese Kröv 2004

Ninas mütterlichen Instinkte wurden wach als sie uns kurz vor Frühstücksbeginn durch die Tür wach rief. Noch keiner der Bonner Männer hatte einen Mucks von sich gegeben. Aber das gesamte Bonner Männerkollektiv hatte entschieden, den Wecker auf 5 vor Frühstücksbeginn zu stellen. Und um 7 waren wir alle da. Waschen vor dem Gang in den Wingert ist unter ästhetischen Gesichtspunkten ein hoffnungsloses Unterfangen. Innerhalb von Minuten rinnt der Saft der Trauben in die Ärmel, trocknet und klebt, dass Haar, vom Tau benetzt, hängt wirr am Kopf und allein die Reinigung von Innen durch einen rasch hinuntergekippten Apfelbrand löst wohlige Schauer aus. Immerhin bietet das Frühstück einen kleinen Moment der Akklimatisierung ehe es in di Dunkelheit geht, die sich auf der heutigen Fahrt nach Dhron nur langsam auflösen wollte. Am steilsten Hang des Kleinschen Weingutes musste wir uns früh nach den besten Trauben strecken. Nur eine Ahnung blauen Himmels bot Hoffnung auf Besserung. Immerhin mussten die mitgeschleppten Traubenbehältnisse nur kontrolliert nach unten gerutscht werden. Kim und David waren erstaunlich frisch bei der Sache und vergaßen die Kälte schnell beim Austausch mit Jan über aktuelle Musikgruppen. Mit der ersten Frühstückspause war der erste Wingert gar gelesen. Unter Apfelbäumen labten wir uns an heißem Kaffee und Kakao, ehe die nächste Runde engeläutet wurde. Das Klingeln eines Handys, wenn es nicht schon so selbstverständlich wäre, mutet in dieser dichten ursprünglichen Arbeitsatmosphäre fast schon unwirklich an. Was bringt Menschen dazu, sich in dieser Weise am Boden kriechend, in akrobatischen Verrenkungen und unte manchmal großen Mühen, Trauben von der Rebe zu trennen? Die Vielzahl der in Steillagen unbewirtchafteten Lagen legt es nahe, dass wir zu den Letzten gehören und die letzten Runden bald eingeläutet werden. Die Lebensfreude der Arbeitenden spricht dagegen und die wachsenden Traubenberge auf dem LKW zeigen zumindst das Ergebnis der emsigen Suche sichtbar an. So schmeckte das Essen mit Blick auf die Trauben, das Jan von seiner Großmutter frisch an den Wingert brachte. Kartoffeln, Frikadellen, Endiviensalat. Kim griff von allem zu, dazu eine Flasche Traubensaft mit David und Scherze mit den Polen. Dauernd blitzen einen die Zahnspangen der Jungs an, von denen man im Alltag manchmal garnichts mehr sieht, so verschlossen, wie sich die Münder oft zeigen.

Die letzten Kisten wurden aufgelden, KIm und David waren Anreicher am LKW und triumphierend winken sie von oben herab.

Ein nicht allzulanger Arbeitstag geht zu Ende. MIt Nina und der Südafrikanerin entscheiden wir uns für einen touristischen Abschluss: Wir besteigen die Fähre von Bernkastel nach Kröv. In 70 Minuten durch eine Schleuse an den herrlichen Weinbergen von Ürzig und Kinheim zurück. Das Innere des FGS (Fargastschiffes) Mosella kann mit seiner Resopaltischgemütlichkeit nur noch durch die ausliegende Speisekarte und die übrigen Mitfahrer getoppt werden, aber über den Umweg der Augen einer Südafrikanerin ist es auch schon wiede lustig. Tonbanderklärungenin moselänisch zu Kultur an Mosel nebsdt heiter gemeinten Erklärungen zum Wein schnarren kaum hörbar durch die Bordlautsprecher und von Nina und mir ins Englische übertragen. In Kröv entlässt uns der beleibte Fährmann argwöhnisch, denn die Reise haben wir in unserer Lesekluft angetreten und lässt uns als gut aussehende Polen erscheinen. Durch Kröv schlendern wir dem Staffelter Hof entgegegn, Ninas kann am EDEKA nicht vorbeigehen, in der Hoffnung wieder eines ihrer berüchtigten Mitbringsel zu finden.

Der Tag scheint erkenntnislos auszuklingen. Nur Kim und David haben bei Norma eine 5 Liter Flasche Kirscheistee erstanden für 1 EURO und sind happy. Auf dem Skateboard und mit Basketball rollen sie von dannen.

Was tun? NIna bekommt von Gundi das Angebot sie am Abend ins Schwimmbad und Sauna zu begleiten, Landfrauenwellness in Traben-Trarbach. Da erzählt mir Jan von David, einem Schweizer seines Alters. Er ist Winzer in Wolf, dem Dorf auf der anderen Seite von Kröv. Er hat sich vor fünf Jahren an die Mosel gewagt, ein altes, nicht mehr weitergeführtes Weingut gekauft und dazu ein paar wenige gute Lagen bei Kröv. Jan sagte, er wolle mal hinfahren, Besuche bei ihm seien ganz anregend. Ich erlebte zwei Winzer ungefähr einer Generation, die unterschiedliche Philosophien leben und sich dennoch gut verstanden. DAs Weingut war imposant. Ganz aus Schiefer gemauert, mit einem Keller auf drei Etagen, an dessen Wänden im tiefsten Geschoss das Werk des Berges hinabrann. Daniel selbst war , wie die vielen Schweizer, die wir aus dem Frnsehen kennen, eher wortkarg. Er gab sich als Handarbeiter, der wie ein Künstler seine Traubepresse nicht als Gerät zur Mosterzeugug sah, sondern mit relativ zarten Händen manuell wie ein Künstler bediente, um den Trauben die rechte Behandlung anzugedeihen. Zwischendurch öffnete er die Luken seiner Presse, um nach Stengen und Stielen zu schauen. Ihm zur Seite ein Praktikant, der winzerecht in Kluft und Dreitagebart kultivierte Handlangerdienste tat. Daniels auf 20.000 Flaschen reduzierte Angebot ist fast ausschließlich für den Export bestimmt. Die an südafrikanischisch, investorgesteuerte Weinproduktion gewöhnte Erntehelferin Yvonne staunte nicht schlecht über die Handarbeit und die liebevolle Etiketiermethoden des spleenigen Schweizers. Doch Lohn der Mühe: Inzwischen hat er Einträge in wichtige Gourmeweinführern und man pilgert zu ihm. Kein Wunder das die Winzerwerkstatt neben sorgsam alten wieder hegestellten Gerätschaften auch eine Musikanlage umfasst, die veritablen Sound in die alten Kellerräume zauberte. Preis für soviel Extravanz, er ist Junggeselle und wird von seinen Eltern versorgt.

Es war ein Besuch wie bei einem Guru, außer das man keine Erfolgsprognose wagt, aber abgesichts der vielen brachliegenden Wingerte wünscht man eigentlich jedem Winzer Erfolg. Gibt es also Hoffnung für unser anachronistisches Tun?

Ein langer Tag, die Kinder skaten noch ein wenig, Gerd und Jan tauschen sich in der Küche über die Arbeit der möchsten Stunden aus, Ruhe legt sich über den Hof. Morgen kommt der Vollernter, die Arbeit beginnt später und die neue Dimension des Lesens können wir erstmals aus nöchster Nähe erleben. Im letzten Jahr lasen wir noch einenTag lang von Hand. Der Vollernter macht es in einer Stunde.

Noch vor den Kindern gehe ich auf unsere Stube, totmüde, die Pfarrkirche schlägt zwei Mal, halb 11 Uhr, die Kinder kommen heim und fragen nach der Aufstehzeit. Ich antworte, wie immer, " 5 Minuten vor Frühstücksbeginn... Morgen ausnahmsweise um 9...", aber das hören sie schon nicht mehr...