Horst Köhler lernt...lebenslang - Berlin im Mai 2005




Horst Köhler ist jetzt ungefähr ein Jahr in seinem Job. Aber auch er gehört zur Gruppe derjenigen, die lebenslanges Lernen nun am eigenen Leib spüren. So berichtete mir jedenfalls jemand aus seinem engeren Stab im Bundespräsidialamt, zugleich Autor bei Heymanns.

Der Bundespräsident hatte geglaubt, mehr Einfluss in das politische Leben nehmen können, musste dann aber schmerzlich feststellen, dass dies nur über Reden gehe, öffentliche Reden wohlgemerkt. Und Reden waren viele zu halten, gerade in der ersten Zeit als die Neugier noch groß war. Unerfahren im politischen Geschäft überließ er das aber nicht professionellen Redenschreibern seiner Couleur, sondern legte selbst Hand an. Das scheint eine schwere Zeit gewesen zu sein, die offenbar auch noch andauert. Nachmittag für Nachmittag saßen die Referenten im Büro und es wurde zwei Wochen lang an der Rede zum 8. Mai gefeilt. Das Erbe der Weizsäckerrede von1985 freilich war schwer. Köhler muss wegen des ausbleibenden Echos wohl auch enttäuscht gewesen sein, so wie ein Schulbub nach einer verhauenen Klausur, trotz guten Gefühls nach dem Schreiben.

Zu anderen Anlässen kürzte er eine ohnehin schon kurze Ansprache im Flugzeug und keiner traute sich ihm zu sagen, dass die Ansprache amputiert klänge, so mein Gewährsmann.

Überhaupt sei das Leben als Bundespräsident voll mit lauter Aktionsterminen, wie z.B. eine Eröffnung eines „Soundsotages“ in Stuttgart. Von Berlin geht es dann mit dem 12-Sitzer der Bundeswehr ins Schwabenländle, von dort Präsident und Stab mit den Protokollfahrzeugen im Affenzahn über freigewunkene Straßen, rein in den Saal, amputierte Rede halten, die dann so kurz war, dass sie einen Bundespräsidentstabsangehörigen kalt auf der Toilette erwischte und ehe - er sich versah - der ganze Konvoi schon wieder Richtung Flughafen gebrettert war. Da bleibe eigentlich keine Luft zum Atmen.

In Afrika neulich habe der Präsident in seiner Unerfahrenheit seine Redetexte noch in der Nacht umgeworfen. Das war eine Katastrophe, nicht nur für die Qualität der Rede, sondern auch die Dolmetscher, die gewohnt sind, wenigstens schon einmal eine offizielle Fassung in Händen zu halten. Sie haben dann ein ziemliches Durcheinander übersetzt und am Ende wusste keiner, was er gesagt hatte.

Inzwischen habe er dazugelernt. Persönlich sei der BP aber ganz prima.

Fährt nur mit Standarte, wenn es offiziell sein muss, ansonsten kommt die Fahne vom Benz runter, außerdem entwischt er seinen Bodyguards manchmal beim Joggen (Jippii, es gibt in diesem Alter auch noch Jogger, nicht nur Walker) oder er geht so unauffällig wie möglich ins Theater.

So kleine Bosheiten wusste mein Autor auch zu berichten. Thierse zum Beispiel, unser Bundestagspräsident, eigentlich Germanist, gehe auch ins Theater, sagt das vorher aber immer der Presse. Meist sei er aber zur Pause schon wieder weg. Bekommt die Presse aber auch nicht mit, die gehen, wenn er im Zuschauerraum verschwindet. Und so gilt Thierse in Berlin als Theaterfreund.

So ist der Politalltag in Berlin. Zum Holocaustdenkmal kam ich erst gar nicht, weil wegen des israelischen Außenministers wesentliche Teile der Stadt in Polizeihand lagen, der Helikopter kreiste und man in der Innenstadt kein Wort verstehen konnte.

Ich ging mit einem anderen Autor, der extra angereist war stattdessen in die Gemäldegalerie, wo die Nofretete auf ihrem Weg zum endgültigen Bestimmungsort eine Art Zwischenasyl erhalten hat (Anmerkung: In der Ferne sah ich das Ehepaar N. behenden Schrittes hineineilen). Wenn sie dann einmal auf der Museumsinsel angekommen sein wird, dann wird Horst Köhler wieder reden und seine Job gelernt haben und vielleicht endlich im politischen Berlin verstanden.

Auf dem Flug Berlin-Schönefeld nach Köln/Bonn 19.5.2005, 21:20 Uhr