Phoenix aus der Asche und die gläserne Manufaktur - Dresden im Mai 2005

Die Dresdner Frauenkirche sah ich zuletzt 1995 als Trümmerhaufen. Damals hatte man mit der archäologischen Entrümmerung begonnen und in Regalen Steine und Reste katalogisiert und für den Wiederaufbau bereitgehalten. Es sah aus wie ein Riesenpuzzle und es war kaum vorstellbar, wie aus dem Schutthaufen jemals wieder die Steinerne Glocke, wie das Gotteshaus auch genannt wurde wieder erstehen sollte.

Über die Baufortschritte konnte man in der Zwischenzeit viel lesen. Nun aber sah ich die Kuppel in der Silhouette der Stadt wieder und war bewegt. Noch sind die Flächen um die Frauenkirche nicht wieder bebaut, Bausünden der DDR Zeit werden beseitigt und so kann man recht schön von allen Seiten das wiedererstandenen Bauwerk betrachten, Es fällt auf, dass der Bau über keinen Haupteingang verfügt sondern an allen Seiten über gleichwertige Eingänge verfügt. Ins Innere der Kirche kann man noch nicht hinein. Hier werden die Einbauten nach alten Plänen noch vorgenommen, in Kürze wird die Orgel eingebaut und der Zugang zum Gotteshaus wird am Reformationstag im Oktober sein.

Aber gestern gab es für ein paar Stunden die Möglichkeit der Kuppelbesteigung. Der erste Teil der Strecke kann mit dem Aufzug bewältigt werden. Am Kuppelaufsatz geht es dann aber über eine Rampe, die sich zwischen Außen- und Innenhaut der Kuppel nach oben windet hinauf. Dabei gibt es dramatische Einblicke in das Innere der Kirche.

Weil die Grundfläche ziemlich klein war, zugleich aber die Kirche Platz für 3.000 Gläubige bieten sollte, entschloss sich der Baumeister George Bähr, mehrere Emporen einzubauen, die wie die Ränge eines Theaters im Rundbau übereinanderangeordnet sind. Es gleicht einem Himmelstheater, das sich bis in die obersten Sphären mit Gläubigen füllt, denen von unten vom Altar ausgehend der Heilige Geist entgegenzusteigen scheint. Der Raum ist gestrichen in rosiggelb frohen Farben des Barock, die Einbauten sind aus noch hellem Holz. Ein imposanter Kirchenraum, schon jetzt.

Am Ende der Rampe, die sich vielleicht dreimal in der Kuppel windet, steht eine steile Treppe, die auf die Aussichtsplattform nach draußen führt. Wie ein kleine Krone schmückt sie die Kuppel und ließ wunderbare Blicke auf die Stadt zu.Der Abstiege erfolgt allein über die Treppen. Er lässt schon einen Blickerhaschen auf die einzelnen Logen, an denen Zimmerleute und Schreiner noch arbeiten.

Um 12 begab ich mich in die Unterkirche. Früher war dies nie ein Kirchenraum, sondern Grabstätte für betuchte Dresdner. Der Baumeister selbst konnte sich ein Grab dort ursprünglich nicht leisten, er fand erst später dort seine letzte Ruhestätte. In der Bombennacht, in der Dresden unterging, fanden hier viele Alte und Kinder sicheres Obdach. Die Kirche selbst überstand ja fast unbeschädigt die zwei fürchterlichen Angriffswellen, aber der Sandstein zerbarst unter der großen Hitze, die die Brände in der Kirche ausgelöst hatten eine Tag später. Zwei Säulen brachen auseinander und ließen die stolze Kirche in Schutt und Asche sinken.

Nun ist dieser Kirchenraum mit einem Altar versehen. Seit kurzem schmückt das Nagelkreuz von Coventry die Krypta. Diese hatten zum Jahrestag der Bombenangriffe die Partnerstadt Dresdens mitgebracht. Auch das Turmkreuz an der Spitze ist ein Werk der Engländer.

Dies alles erläuterte eine Dresdner Kunststudentin mit klugen Worten. 125 Mio. Kostet der Wiederaufbau, 5 fehlen noch. Für den Gesamtpreis kann man 10 Kilometer Autobahn bauen. Das ist ein Thema in Dresden, denn um Dresden entsteht eine große neue Autostrecke.

Als ich die Kirche verließ, begann es zu regnen. Ich zog mich erst einmal in ein Cafe zurück.

Nach dem Besuch der Frauenkirche blieb noch etwas Zeit, die gläserne Manufaktur von Volkswagen zu besuchen. Dort wird seit etwa zwei Jahren im Zweischichtbetrieb derPhaeton zusammengebaut. Die Manufaktur steht an einer trostlosen Autokreuzung, umgeben von einigen Plattenbauten und unweit des Deutschen Hygienemuseums, in dem sich das Modell des gläsernen Mensches befindet.

Die Architektur ist beeindruckend. Ein transparentes rechteckiges Gebäude zu einer Straßenseite, aufgelockerte Zylinder und Kugelarchitektur zur anderen Straßenseite. Ein Zylinder fungiert als Silo und beherbergt die fertig gestellten Modelle.

Der Zugang zur Manufaktur ist frei und an keinerlei Formalitäten geknüpft. Auf einer Ebene kann man sich ungehindert bewegen und nur durch eine Glasschreibe getrennt, den Zusammenbau verfolgen. Im Wesentlichen wird reine Handarbeit geleistet. Man muss sich das in etwa so vorstellen: Die Karosserie des Phaeton wird angeliefert und computergesteuerte Warenkörbe liefern den Autobauern die Teile, die sie an der jeweiligen Station, Takt genannt, benötigen.

Die Werkshalle ist mit Parkett ausgelegt, die Arbeiter tragen weiße Arbeitskleidung. Über eine Lastenbahn schweben die Karosserien heran, die dann auf ein fahrerloses Transportsystem abgeladen werden, das sich von Magneten gesteuert in der Werkshalle von Station zu Station bewegt.

Die Arbeiter gehen mit großer Ruhe an Ihre Zusammenbauarbeit. Bei schweren Teilen hilft ein Tragesystem, das rückenschonend auch schwere Teile, wie das Armaturenbrett, ins Wageninnere hievt.

Die Ruhe der Produktion hängt sicher auch mit dem ausbleibenden Erfolg des Wagens zusammen. In der griechischen Mythologie war Phaeton ein Himmelswagen, der aus der Bahn geriet und abstürzte. Man fand schon bei Produktionsbeginn, dass dies kein gutes Ohmen sei. Das Auto verfügt über einen zurzeit kaum mehr zu schlagenden Luxus im Innern, sieht aber von Außen nur aus wie ein Passat. Und so wird bei allen Bemühen, VW nicht ganz glücklich mit dieser wunderbaren Fabrik, die ein Inbegriff für die heutige Zeit sein könnte. Transparent, wunderbar anmutende Arbeitsbedingungen in einem Viertel, in der Arbeit nicht gerade Massenware zu sein scheint, aber neue anziehen könnte.

Selbst die Büros der Ingenieure befinden sich ohne Scheiben getrennt in der riesigen Werkshalle. Die Schreibtische und Lampen und Stühle stammen aus einer besseren Büroserie. Die Verknüpfung von Denken und Produktion scheint so ideal, wie in der Glasmanufaktur, die wir in Schweden besucht haben.

Faszinierend ist, was Dresden in der Zeit nach der Wende gelungen ist: Die Ansiedelung von Unternehmen, die für technischen Fortschritt stehen und hier die Fabrikationsstätten der Neuzeit errichtet haben. So etwas gibt e s vergleichbar nur in Leipzig, wo mit BMW und Porsche gleich zwei Autobauer neue moderne Produktionsstätten errichtet haben.

Aber es steht im seltsamen Kontrast zu der auch in Dresden überdeutlich sichtbaren Verelendung mancher Bevölkerungsteile. Männer aller Altergruppen traf ich schon am Morgen neben Lidl mit hochprozentigen an. Man schwadronierte über die große Politik und die eigene Perspektivlosigkeit. Am Postplatz, einem immer noch sehr nach DDR anmutenden Verkehrsumschlagplatz neben dem Zwinger, ein Jugendproletariat mit Bier und Kippen. Daneben eine moderne Personenahverkehrsinfrastruktur, wie sie im Westen noch in fast keiner Stadt anzutreffen ist. Ideale Beschilderung, elektronische Fahrplananzeiger, Handyhaltestellenansageservicedienste, einheitliches Erscheinungsbild. Natürlich lassen sich auch in den vielen Jahren nach der Wende nicht alle DDR-Bausünden beseitigen oder über die die westdeutschen Investoren hinwegsehen. Aber man muss doch zugeben dass viel Altes wieder zum Leben erweckt wird und wiederhergestellt wird, nicht nur die Frauenkirche. Auch Plätze entstehen in alter Pflasterung wieder, Weinberge an der Elbe samt ihrer Höfe werden wiederbelebt, moderne, geschmackvolle Häuser wurden am Elbufer erbaut, die Wege entlang des Flusses befestigt, Biergärten angelegt. Dazu das Panorama von Dresden, das zumindest bei Dunkelheit in der schönen Beleuchtung die alte Eleganz ahnen lässt.

Am Abend joggte ich von der Augustusbrücke zum Blauen Wunder , einer alten Stahlhängebrücke in blauem Anstrich. Der Weg führte unmittelbar am Elbufer, das von vielen Radfahrern genutzt wurde. Der Blick ging hinauf zu alten Villen im neogotischen Stil als kleine Burgen erbaut oder einfachen Weinhöfen, an deren Hauswänden die Reben rankten. Manches war wieder renoviert. In der Ferne die beginnende sächsische Schweiz, schließlich die Tragetürme des Blauen Wunder. Ich überquerte die Brücke und lief am anderen Ufer der Stadt entgegen. Wie schön die prachtvollen Türme und Kuppeln im Licht der Sonne und einem aprilhaften dramatischen Himmel zu sehen. Und doch sieht diese Stadt noch immer verwundet aus. Die Energie des Wiederaufbaus ist verständlich, versinnbildlicht sie doch den Willen der Dresdner, diese Zerstörung wiedergutzumachen. Das Ende dieses Prozesses werden unsere Kinder vielleicht einmal besichtigen. Dann wird die noch jetzt buntscheckige Frauenkirche mit ihren wenigen alten und vielen neuen Steinen gleichmäßig nachgedunkelt sein, aber anderes wird vielleicht gerade wieder in Stand gesetzt sein und Dresden wieder zu das werden lassen, was es vor dem 13. Februar 1945 war: Das Florenz an der Elbe.

Dresden, auf dem Weg nach Bonn 5.5.05 5 Uhr nachmittags