Berlin, Holocaustdenkmal

Am Tag nach den hinterhältigen Anschlägen auf den Londoner Nahverkehr ging das Leben in den übrigen westlichen Metropolen seinen Gang. Eine beklemmende Routine stellt sich ein. New York, Washington, Pennsylvania waren unfassbar in der Dimension, Madrid trug den Terror nach Europa und London wartete seit Jahren darauf und war gestern machtlos...

Früh musste ich mich heute auf den Weg nach Berlin machen. Und alle wissen, auch Berlin ist Ziel, nicht in der ersten Reihe, aber doch weiter vorne als die meisten glauben.

Auf den Flughafenbus wartend, kam mir ein Mikrofonreporter des Bonner Lokalradios für einen O-Ton entgegen. Ob ich trotzdem reise und mit welchem Gefühl? Was soll man da sagen? Leicht könnte man in einen allgemeinen Politikebetroffenheitsjargon fallen....

Am Flughafen herrschte Feriengeschäftigkeit aber alles lief wie sonst auch. Im Stadtzentrum.

Am Brandenburger Tor, an der Britischen Botschaft in der ohnehin schon seit Jahren mit Betonabweisern abgeriegelten Wilhelmstraße herrschte rege Polizeipräsenz. Der alte betagte Mercedes Kastenwagen mit den vergitterten Fenstern aus der guten alten Zeit als Berlin noch Insel war und Häuser besetzt wurden, rief gleich Otto Schilys Pressekonferenz vom Tag zuvor ins Gedächtnis, wo er bräsig erklärte, Deutschland sei auf einen Anschlag gut vorbereitet. Mit diesem Kastenwagen? Mit dem freundlichen, etwas unsportlich wirkenden Berliner Schutzpolizisten, der mit seiner Metallsonde gelegentlich die abgelegten Blumen absuchte? Also der Anschlag ist ausgemachte Sache, aber auch Schily weiß nicht wann und wo. Vielleicht doch erst Rom und dann Berlin?

So reihte ich mich ebenso hilflos in die Verkehrsströme von Bus, Flugzeug, S- und U-Bahn ein und passierte all die weichen Ziele, die von unseren wackeren Sicherheitskräften - so gut es eben geht - beschützt werden.

Ich kam zum umstrittenen Denkmal für die ermordeten Juden Europas. 60 Jahre nach Kriegsende, nach dieser fürchterlichen Zäsur der Geschichte geht mit dem Denkmal für die ermordeten Juden in Sichtweite des Brandenburger Tors die Trauerarbeit eines lange zurückliegenden Terrors zu Ende. Mitten in der Normalität Berliner Lebens mit Reichtagskuppel, Quadriga oder dem munteren Sat-1-Aussichtsfesselballon, liegt das Stelenfeld.

Nachdenklichkeit geht von diesem Mahnmal zunächst nicht aus. Eltern müssen ihre Kinder an den Charakter dieses Denkmals erinnern. Spuren von Schuhprofilen zeigen dass die Stelen schon längs für andere Herausforderungen genutzt werden. Wie soll mit ihm umgegangen werden? Dankbar war ich im steinernen Meer für eine auf der Säule niedergelegte Rose oder einen Kranz.

Wenig später fand ich mich unter der donnernden Eisenbahnbrücke des Bahnhofs Friedrichstraße in einer kleinen Currywurstbude wieder. Ich stillte meinen Berliner Hunger mit der angeblich krebsschützenden deftigen Wurst. Das Leben rauscht, im Hintergrund dudelt eine Hauptstadtradiostation, Opferzahlen werden nach oben korrigiert, Bilder der aufgeschlagenen Zeitungen zeigen schwer verletzte Pendler, viele werden für immer verstümmelt sein, heißt es.

Wenige Steinwürfe weiter, vor dem Adlon, warten Anhänger auf die Popgruppe U2, eine Fototafel vor dem Brandenburger Tor zeigt dieses nach der Kriegszerstörung, alles Lichtjahre entfernt?

„…Nein…“, so habe ich dem Mikrofonreporter in seinen Mikropilz gesagt, „…trotz London fahre ich Bus, U-Bahn und Zug und vielleicht trägt ja meine Arbeit heute auch dazu bei, ein paar Ungerechtigkeiten zu beseitigen...“. Damit war genug O-Ton im Kasten, ich könne es mir ja bei der Arbeit (Hat der Vorstellungen!) gleich in „Hallowach“ anhören. Siehste!, denke ich, auch ihr ändert nicht eure bescheuerten Sendeprogrammbezeichnungen und eure nervtötenden Jingles, nur weil in London vier Bomben hochgehen.

Ich steige in den Bus, fliege nach Berlin, fahre U-Bahn, fliege wieder zurück, werde abgeholt von meinen Lieben und komme unbeschadet wieder nach Hause. Glück gehabt, dem Herrgott gedankt, das Leben geht weiter.


Am 8.7.2005 im Holocaust-Mahnmal in Berlin

Berlin/Zwischen Bonn und Köln 8./9.7.2005