Radpilgern zum Papst - Auf dem Marienfeld bei Kerpen











Papstmesse auf dem Marienfeld

Zur Abschlussmesse auf dem Marienfeld mit Papst Benedikt XVI am 21. August 2005








Der Papst rief die Jugend der Welt auf ein ehemaliges Braunkohletagabbaugelände bei Kerpen am Ende der Kölner Weltjugendtages zusammen. Und da ich mich selbst noch jung genug fühlte, machte ich mich am Sonntagmorgen um 4 Uhr auf eine Radpilgerreise zum Marienfeld.



Es war stockdunkel, niemand war unterwegs, als ich mein Tags zuvor auf die Nachtreise vorbereitetes Papa-Bikel mit zwei hellen Scheinwerfern am Lenker versehen in den dunklen Kottenforst steuerte. Die üblichen Nachtdramen mit jagenden Käuzen im Wald konnte ich zumindest akustisch verfolgen. Aber bald schon bewegte ich mich auf kleinen Nebenstraßen, die ich über den Bahnhof Kottenforst und Lüftelberg erreichte, ehe ich gen Norden am Swistbach entlang gen Nordenwesten fuhr. Dunkel lagen die kleinen Straßendörfer, ferne am Waldrand eine verspätete Schützengesellschaft an einem Lagerfeuer, selten ein PKW.

In der Ferne leuchtete das Kraftwerk Niederaußem, dessen Wasserdampfwolken vom Marienfeld rosa erleuchtet schienen. „Wir sind gekommen, Ihn anzubeten“, hieß das Motto des Weltjugendtages und wie ein Heiligerdreikönig folgte ich dem Stern der Neuzeit in der Ferne.



Die Autobahn 61 Richtung Kerpener Kreuz war längst gesperrt und als Parkplatz für die unzähligen Busse, die Pilger bereits am Vorabend zum Marienfeld zur Vigil mit den Papst gebracht hatten gesperrt. Ich verfehlte in der Dunkelheit den Weg und umwegte über Gymnich. Schon in Weilerswist waren mir erste Radpilger begegnet, die ihre Drahtesel gerade mit Proviant bepackten, aber nun wurde der Pilgerstrom auch noch von Fußgängern ergänzt.



Allerorten angebrachte provisorische Wegweiser wiesen sowohl Fußgängern las auch Radlern den idealen Weg. Es dämmerte und es wurde eher kalt als warm. Nebel stieg auf und als ich die Zuwege zum Marienfeld vom Swistbach befuhr, schien er sich wie eine graue Glocke über alles zu legen. Ich verschnaufte und ließ mich für ein Erinnerungsfoto fotografieren.



Noch ahnte ich nicht, dass ich auf den größten Campingplatz zusteuerte, den ich bislang gesehen hatte. Zuvor konnte ich aber bereits die vorzüglichen logistischen Leistungen bewundern: Wunderbare, mit Lavagestein angelegte gerade Wege in die Ackerlandschaft, an jedem Kreuzungspunkt mit einer fantastischen Beschilderung versehen, lotsten mich ohne weitere Nachfrage zu den Fahrradabstellplätzen und von dort zu Teeausschank, Waschgelegenheiten und Pilgerfeldern. Wer immer das Konzept hierfür gemacht hat, man stand und staunte.



Staunen ließ aber auch, wie die zu diesem Zeitpunkt wohl dort übernachtenden 700.000 Pilger ihre feucht kalte Nacht genommen und ertragen hatten. Mit Plastiksäcken und -planen schütze man sich, soweit man nicht mit Isomatte und Rucksack ausgestattet war, am Tee- und Kaffeeausschank stand man geduldig an.



Noch immer kein Blick auf den Papsthügel, es war so nebelig, dass man von den Rändern des ausgewiesenen Pilgerfeldes das Zentrum, den Altar nicht erblickten. Von der vorangegangenen Vigilfeier standen noch Bassins, in denen überdimensionale Schwimmkerzen für nächtliche Erleuchtung gesorgt hatten. Je näher ich dem Zentrum kam, umso dichter lagen junge Menschen in ihre Decken gehüllt.



Das Morgenprogramm, eine vielsprachige Laudes, wurde über die überall auf dem Areal verteilten Videowände und Lautsprechertürme übertragen. Der Sound war satt und man bekam eine Ahnung davon, wie altüberlieferte Gebetsformen zeitgemäß an die jungen Menschen gebracht werden könnte. Das Marienfeld erwachte, naja, es räkelte sich wenigstens.

Schließlich, erblickte ich den Papsthügel mit seiner markanten „Wolke“. Von dort war es dann ein mühseliger Weg in die vorderen Bezirke vorzudringen. Sie waren Geistlichen und der politischen und gesellschaftliche Prominenz vorbehalten. Aber nach 36-stündigem Dienst ist manche Sicherheitskraft auch nicht mehr in der Lage, die vielen Erlaubnisscheine voneinander zu unterscheiden und schließlich stand ich vor der „Ehrentribüne, in denen reservierte Stühle bereits Zeugnis von den erwarteten Gästen gaben: „Bundespräsident“ „Schröder“, „Schröder-Köpf“ usw. Ich selbst stand in einem Pulk Geistlicher, die sich mit ihren Gewändern bekleidet hatten und aus vielen europäischen Ländern stammten.



Doch noch immer gähnte der Platz, obwohl er sich zunehmend füllte. Aber dann, im Minutentakt Aufmarsch der politischen Prominenz, der zumindest von der Platzierung auf dem Marienfeld keine herausgehobene Stellung zugewiesen war. Auf dem Papsthügel, auch von hier noch gute 250 Meter entfernt nur Geistliche, Jugendliche, Kameraleute und...der Papst.



Schröder kam mit Gattin, Kohl saß bereits, Köhler kam mit Gattin und viele Weitere entdeckte man noch im Hintergrund. Doch dann flammte auf den Videowänden das Bild des Papamobils mit Benedikt XVI auf, Jubel erhob sich, das Marienfeld war wach!



Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte. Der Konvoi aus Sicherheitsbeamten, Fahrzeugen und Papamobil rollte auf unser Pilgerfeld zu. Im Nu sicherten schweruniformierte Bundespolizisten das Spalier, hinter ihnen freiwillige Sicherheitsdienstler, dahinter das Publikum und auch die politische und gesellschaftliche Prominenz. Jubel erhob sich, „Be-ne-detto-Rufe“ und wie eine Gischtwelle brandete das grelle Licht unzähliger Fotoapparate auf.



Dann verebbte der Jubel, das Papamobil verschwand, erklomm für die Pilger unsichtbar den Papsthügel. Die neugegossene Glocke für St. Aposteln läutete in Gess den Gottesdienst ein. Die Liturgie begann.Auch das politische Personal der Republik brachte sich in Stellung und erwartete gesammelt den Beginn der Hl. Messe.





Der Platz war vorbereitet, nicht zuletzt auch dank der im Verlauf des Weltjugendtages viel gesungenen Lieder, die in vielen Sprachen intoniert wurden. Kardinäle und Bischöfe zogen den Hügel hinan, der Papst verneigte sich vor dem Kreuz.



Nicht für möglich gehalten hatte ich, dass ein mit einer Millionen besetzter Platz in solcher Konzentration einem Gottesdienst von über drei Stunden Dauer folgen würde. Der Papst wechselte in seiner Predigt die Sprachen und führte dennoch seinen Gedankengang fort, statt einen Gedanken in verschiedene Sprachen zu übertragen. Manche Pilger behalfen sich mit der simultanen
Übersetzung via Radio, andere sprachgewandtere applaudierten auch bei verschiedenen Sprachversionen. Der Papst begeistere nicht, aber er erreicht tiefere Bewußtseinsebenen, er war gütiger Vater und Wegweiser zugleich, er ging auf die Ängste junger Menschen ein, appellierte aber auch an Ihre Energie.



Ein emotionales Loch tat sich auf, als die Messe endete. Noch einmal am Rand des Papsthügels stehend, segnete Benedikt seine Herde.






Am Fuße nicht minder beeindruckt auch die dem katholischen nicht so nahe stehende Politprominenz. Der Papst fuhr davon und mit ihm setzte sich eine ungeheure Zahl von Menschen in Bewegung.





Dann strebte die überwiegende Zahl gen Tor 1, um sich auf dem Weg zum Bahnhof zu machen. ich konnte gegen den Strom in entgegengesetzter Richtung die Radelstellplätze ansteuern. Ich schwang mich aufs Rad und ordnete mich in den steten Strom der Pedaleure ein, die dann Kilometer für Kilometer sich auf die umliegenden Ortschaften verteilte. Am Swistbach rastete ich später. Ich trank das klare, mitgebrachte Wasser und war erfüllt und durfte die mir gespendete Kraft der versammelten Jugend in die Tretkurbel legen. Es war gut, geradpilgert zu sein: Nach Sydney 2008 wird es anstrengender werden als heute. Aber dann ist vielleicht eines unsere Kinder unterwegs…