Luis in der Philharmonie


In diesem Spätsommer mit seinen erfrischenden Sonnentagen gingen die Gedanken oft an den schönen Skandinavienurlaub im vergangenen Jahr. An einem solchen strahlenden Freitagfeierabend, die Sonne stand tief über dem Ippendorfer Westhang machte ich mich mit Luis per Bus und auf dem Weg zur Kölner Philharmonie.

Doch dies sollte nicht der einzige Anklang an Skandinavien sein. Sibelius, ein Finne, stand mit seinem einzigen Violinkonzert auf dem Programm und dies verhieß wie bei den Skandinaviern üblich (Ich denke auch an Grieg) Weite, Ruhe, Versunkenheit.

Der Abend versprach vielversprechend zu werden. Das Stück galt als unspielbar. Annonciert war Viktoria Mullova, der ich zufällig – ich hatte schon längst einige CDs von ihr gekauft in Carpi in einem wunderbaren Theater bei einem Tschaikowski-Konzert als Solistin begegnet war. Nun gab es ein begeisterndes Wiedersehen nach 17 Jahren.

Unscheinbar hob das Orchester an, breitete einen Klangteppich aus, über den die Solistin ein Sehnsuchtsthema legte, das sich irgendwie in der Weite verlor. Mullova übernahm aber in dieser weiten Landschaft bald das Kommando. In einer sehr modernen Interpretation eines Gehrockes mit aufgenähtem gelbapricotfarbenen Zottelschal stand sie fast gebieterisch vor ihrem Orchester. In den wenigen Spielpausen ließ sie ihre Stradivari sinken und schaute sich in alle Richtungen um, fast als stehe sie inmitten der finnischen Tundra. Die Finger tanzten über die Saiten, überwanden in akrobatischer Weise aberwitzige Tonfolgen. Und doch ließen markante Rhythmen nordische Gelassenheit aufkommen und friedlich klang das Konzert aus.

Ovationen für eine sportlich beseelte künstlerische Virtuosenleistung dieser groß gewachsenen Ausnahemegeigerin. Auch Luis konnte sich diesem Virtuosentum nicht verschließen und hörte mit großen Augen zu.

In der Pause erfrischten wir uns, trafen das Ehepaar Neuhaus das uns zu Sekt und Cola einlud.

Die Stärkung brauchten wir für Schostakowitsch, dessen 4. Sinfonie von den Zuhörern viel abforderte. Schostakowitsch war ein erfolgreicher Komponist in Russland gewesen, bis Stalin einer seiner erfolgreichen Opern besuchte, die Vorstellung ohne Applaus verließ, das Stück absetzen ließ und in der Prawda gleichsam eine Generalsabrechnung mit Schostakowitsch vornahm. Der Komponist, der gerade seine 4. Sinfonie komponierte wurde zum Volksfeind und war ein gebrochener Mann. Diesen Prozess konnte man auf der Bühne der Philharmonie nahezu 70 Jahre später noch mit erleiden. Im gewaltigen letzten Satz zermalmt ein gewaltiges Orchester jede Anmutigkeit der Musik mit brutaler Gewalt. Akustische Sturmböen fegen durch die Reihen, die das ganze Orchester zu erschüttern und erschöpfen scheinen und doch endet nach einer nicht endenden Tortur die Sinfonie in sanften, aber dann ersterbenden Klängen. Atemlose Stille, weil Bychkow als Dirigent die Spannung zu halten weiß, eher das erste Klatschen die Spannung löse.

Ein aufregender, spannender Abend. Der Regionalexpress fuhr passend, Thea holte uns in Bonn ab, um halb 12 Uhr abends waren wir wieder daheim. Der erste freie Samstag lag vor uns, keine Schule, keine Termine...