Die Kraft der Worte - Buchmesse 2006

Die Buchmesse in Frankfurt ist schon allein wegen der ihrer Größe ein fünftägige Werkhalle, in der fertige und halbfertige Produkte präsentiert werden, die Programmingenieure ihre neuen Erfindungen präsentieren und sich einem kritischen Publikum stellen.

Nie im Jahr sind mehr Literaten, die Verbreitungsmaschinerie, Verkäufer und Lese an einem Platz versammelt als in den fünf Tagen des Oktobers. Aber in den Menschenströmen die zwischen den Kojen durch die Gänge mäandrieren, ist im Grunde wenig Raum für Lektüre und dem Gespräch. Literatur findet "on the go" auf den Fernseh- und Radiobühnen der Messe am Rande der Menschenlavaströme statt. So verfliegt das Wort, die gelungene Antwort in den Wogen der Geräusche, die die Bühnen umgeben.

Am Freitag sollte in einer Literaturaufzeichnung des ZDF der Büchnerpreisträger Pastorius zu Wort kommen. Er war zwei Tage zuvor schon in Frankfurt in Erwartung der Buchmesse verstorben. So kam sein Verleger Michael Krüger von Hanser an seiner Statt zu Wort. Seine lobenden Worte auf den Verstorbenen ließen innehalten. Ein Mann, der sich die Sprache habe erschließen müssen "vom Sicheren ins Tausende" und doch zu einer Sprachvirtuosität gelangte, die es nicht leicht gemacht habe, ihm zu folgen oder zu verstehen. Ich bedauerte bereits, diese Begegnung mit dem Verstorbenen nicht mehr machen zu können, denn seine Passion sei gerade auch das Vorlesen seiner Texte gewesen un diese Möglichkeit war mir nun verwehrt.

Vielen der Zuseher an der TV-Bühne mag es in diesem Moment ebenso gegangen sein. Auf einem Monitor blickte der verstorbene Pastorius auf das Publikum. Aber dann ließ die Moderatorin ein Hörstück des Autors, von ihm selbst vorgetragen, einspielen. Mit kaum vernehmbarer Stimme und einem eigentümlich südosteuropäischen Akzent trug er einen rätselhaften Text vor, der dennoch die meisten atemlos bannte. Spinnwebenhaft breiteten sich die Sätze aus, ungemein lautmalerische Worte erzeugten Stimmungsbilder und ließen Zeit und Ort vergessen. Die Magie der Literatur, lebendige Bilder im Kopf, die Raum und Zeit vergessen lassen, zu erzeugen,wurde Wirklichkeit. Die Kraft der Worte, war in diesem Moment stärker als die mit ungemeinem Energieaufwand realisierte Inszenierung dieser Buch- und Medienshow.

Auch in einer weiterne Veranstaltung dieses Tages bekamen Worte und Sätze wieder ihre Energie, die Sie in der grellbunten Medienwelt schon aufgebraucht zu haben schienen. In einem Beitrag über das sogenannte Podcasting, also dem Verbreiten gesprochener Inhalte auf mobilen Abspielgeräten befasste sich ein Expertengremium mit der Verbreitung von Literatur auf diesem Wege. Schüler liessen sich Goethes Werther lieber vorlesen, einige Verlage stellen Trailer zu Neuerscheinungen ihrer Bücher ins Netz und wecken so Interesse für diese.

Wo Raum zum Hören war, da wurde die Literatur, die in Frankfurt ihr Fest feiert lebendig. Und, oh Wunder er entstand urplötzlich am Rande der gerade zu Ende gegangenen Veranstaltung in der Halle der chinesischen Verlagen. Es war Mittag und im anwesenden Reich der Mitte wurde an die Aussteller gefüllte dampfende Reisschalen gereicht, eine mittägliche, kontemplative Stille legte sich über "Werkshalle Band M" in Halle 6.1 und alle Worte des Morgens klangen nach.

Frankfurter Buchmesse 6.10.06, 14:46.