Spätestens am Veilchendienstag erlahmen bei den meisten Rheinländer die Kräfte - München, Faschingsdienstag 2007

Spätestens am Veilchendienstag erlahmen bei den meisten Rheinländer die Kräfte. Allenfalls wird noch ein Veedelszöch besucht oder der Kopfschmerz gepflegt oder in Mallorca der Koffer für die Heimreise gepackt. Als ich am Faschingsdienstag den Münchener Hauptbahnhof betrat, wurde ich von dieser eigentümlich chicen Karnevalsfröhlichkeit begrüßt, die sich in Ihrer exzessivesten Form im Werfen von Konfetti äußert oder durch Anbringen spärlicher Verkleidungsapplikationen, wie etwa Mausöhrchen oder venetianischen Masken.

Auf dem Weg zur Theatinerstraße nahm ich den Umweg über den Viktualienmarkt, wo der Faschingsendspurt mit dem frühmorgendlichen Tanz der Marktweiber beginnt. Seit zwanzig Jahren ist diese fast bescheidene Feierlichkeit fest in der Hand von privaten Radiostationen, die unter dem Vorwand der Brauchtumspflege das ganze auf eine mobile Bühne stellen und anschließend den Markt von Lautsprechertürmen aus mit den gängigen Skipistenhits beschallen.

Ich suchte Trost in einer kleinen italienischen Kaffeebar, gleich gegenüber vom Treppenaufgang zum "Alten Peter". Eine melancholische italienische Barschönheit hantierte an der Espressomaschine. Hin und wieder wechselte sie ein paar Worte mit einem älteren Landsmann. Ein vergilbtes Schild über dem Tresen pries "Ein kleines Stück Italien mitten in München". Die Tür ging auf und vom Viktualienmarkt drangen stampfende Bässe hinein und ein "adesso basta" entfuhr der Barrista. "Kein Fasching?", fragte sie mich. "Nein", antwortete ich, ich komme aus Köln, da haben wir Karneval das ganze Jahr." "Colonia", mischte sich der Alte ein, "grande città come Roma". Naja, dachte ich, so chaotisch schon, römisch auch, aber sonst. "I Colonesi fanno la città", erwiderte ich, aber so ist es ja meistens. Ohne die richtigen Menschen drumherum gäbe es wenig Gründe für ein Leben beispielsweise in Sprockhövel.

Der Cappuchino war gut, schön heiß mit der richtigen Mischung von wärmender Milch, anregendem Espresso und kühlendem Schaum. Ich zahlte und lächelte der Barrista ein "buona festa" zu, was man sich eher an den Festtagen wünscht. Sie verstand es wohl richtig und seufzte ein "buona giornata".

An Proseccoständen rund um die Mariensäule vorbei ging ich auf den Odeonsplatz zu. Die Sonne schien aus einem strahlenden Himmel, seltsam frühlingshaft, ohne sichtbare Zeichen des Winters. Heitere Fröhlichkeit eines geschenkten freien Tages lag in der Stadt. Es korrespondierte so garnicht mit der ernsten Geschäftigkeit meines Gesprächspartners. Das Notariat in einer der besten Münchener Lagen an der Theatinerstraße war großzügig und hätte sich als wunderbare Bürokulisse eines erfolgreichen Anwalts in einem Heileweltabendprogrammfilm geeignet. Das Fenster stand auf und die Geräusche der quietschenden Trambahnen von der Maffeistraße waren zu vernehmen. Das Gespräch war zäh, ebenso der angebotene Cappuchino, der Lichtjahre von dem vor einer Stunde getrunkenen entfernt schien. Je lauter der Fasching draußen an Kraft gewann, so ernsthafter wurde der Gesprächsverlauf. Irgendwann erlahmten aber auch die Widerstandskräfte des Gegenüber, vielleicht hatte er einen Anruf seiner Gattin erhalten, die auch noch gepflegt lustig sein wolllte und zum Heimkommen drängte. Das Notariatspersonal verzehrte bereits Krapfen und schließlich entlud sich alles in einem, "also dann bekommen sie das Manuskript im Oktober des Jahres". Imaginär hob ich zum "Tätääa" an. Die letzte Patrone war verschossen. Ich fuhr zum Hotel, protokollierte das Ergebnis und verschickte es gleich.

Noch ehe die Sonne versank, betrat ich den Nordteils des Englischen Gartens, wo ich meine alte 6,6 km-Stammstrecke unter die Füße nahm und sie in passablen 32'01 lief. Einst hatten mich auf dieser Strecke Gedanken nach meiner zukünftigen Tätigkeit und privatem Leben bewegt, nun bewegte ich mich wieder auf alten Bahnen in diesem damals erträumten Leben. Ich passierte den Allianzspoprtclub, wo ich mehrere Saisons lang auf dem Rasen brillierte und mal ein geniales Hackentor volley erzielte, kam am Tennisplatz in der Hirschau vorbei, auch ein Ort längs geschlagener Schlachten und dem Aumeisterbiergarten, in dem ich meine Examensbestehglückseligkeit verlebte.

Zieleinlauf, zurück ins Hotel. Blick auf die neue Skyline Schwabings, im Westen der Olympiapark, der seltsam verlassen wirkt. In der Hotelhalle eine Männerzufallsgesellschaft, die die Übertragung des Bayernspiels bei Real vereint. Ein letztes Bier vor Beginn der Fastenzeit, Faschingskehraus, der letzte Konfetto ist gefallen.

Im Zug nach Salzburg, z. Zt. Traunstein