Von München nach Salzburg - Februar 2007

Im Nahverkehrszug von München fuhr ich gen Salzburg. Nach Rosenheim und dem Chiemsee säumten sonnengegerbte Holzhäuser von unwinterlichem Grün gesäumt die sonnenbeschiene Strecke. Eine oberbayrische Teeniemädchengruppe freute sich schon auf den Salzburger H&M. Am Bahnhof ergoss sich der kleine Menschenstrom aus Tagesausflüglern, Pendlern und Touristen und verlor sich schnell in der Bahnhofshalle. Mit dem O-Bus, der als typisches, energiesparendes Verkehrsmittel in Salzburg verkehrt, erreichte ich schnell meine Unterkunft gleich hinter dem Mönchsbergdurchstich. Dieses schroffe im Laufe der Jahrhunderte bearbeite Massiv mitten in der Stadt, trennt das in sich geschlossene Altstadtviertel von den Wohnquartieren. Ins Massiv gebaut, findet sich eine Autogarage und eine separate Röhre für Fußgänger und Radler.

Bis zu meinem Gespräch blieb noch ein wenig Zeit. Vor dem Tomaselli, dem traditionsreichstem Kaffeehaus nahmen die Ersten Platz auf den außen stehenden Stühlen. Die in schwarzen Anzügen mit Fliege gekleideten Ober nahmen mit freundlicher Distanz und großer Aufmerksamkeit die Wünsche auf. Die Geschäfte funkelten in der Sonne, das Angebot reichte von Dessous, für das es hier offenbar einen großen Markt oder die rechte Stimmung gibt, edlem Schreibwerkzeug, Schmuck und Uhren sowie Mozartdevotionalien. Doch fehlte angenehmerweise das schreiend Anpreisende und man fand in angemessener Zahl auch Unternehmungen, in denen nie ein Marketingkommando einen Schritt über die Türschnelle getan hat.

Rund um den imposanten, ebenfalls an den Nichtschauseiten im betonfarbenen Fels gehalten, Dom versammelte sich im hellen Licht eine muntere Schar von Menschen. Um ein Großschachfeld versammelten sich ein paar einheimische Kibitze und kommentierten den Spielverlauf. Reisende Jugendliche besserten ihre Reisekassen mit auf Akkustikgitarre vorgetragene Weisen. In der Dombuchhandlung herrschte die feierliche Ruhe, die einem Geschäft mit der eindeutigen Warenausrichtung zukommt. Ein farbiger Theologiestudent suchte nach einer Bibelkommentierung, draußen schlug die schwere Domglocke zur mittäglichen Stunde. Der Dom war prachtvill großzügig und zu dieser Tageszeit im Altarraum wunderbar durch die Sonne erhellt.

Ich betrat die Uni. In der alten Residenz seit etwa 20 Jahren beheimatet ist es ein Juwel an genutzter alter Architektur. Die Anstriche geschmackvoll, frei von Sprühfarbenmanifestationen präsentierten sich Zugänge, Stiegen und Gemeinschaftsräume in einem beneidenswerten Zustand. Natürlich herrschte die typische Semesterferienruhe, aber die Vorlesungsräume liessen nicht auf einen zugangsbeschränkten Massenbetrieb schliessen. Auch im Gesräch mit meinem herausgebenen Professor und seiner Assistentin ging es nicht wie in Deutschland seit ein paar Jahren üblich um die Bedingungen der Forschung, sondern um die Sache selbst. Das Forscherzimmer war gut ausgestattet, eine freundlich beseelte Studentin brachte in der k.u.k.-nachsinnenden Freundlichkeit drei Mocca mit Obers. Freundlich begleitete man mich zum Portal, wo das herannahende Hufklappern eines Fiakers zu vernehnmen war. So muss es schon zu Mozarts Zeiten gewesen sein, wenn man nach Außen trat und angesichts der vielen eisernen Stiefelknechte an den Türpfosten mögen die Zeiten noch garnicht so lange zurückliegen.

Am späten Nachmittag in die untergehende Sonne lief ich entlang der Salzach. Bald ließ ich die an den Mönchsberg geschmiegten Häuser hinter mir und gewann Einblicke in das gemeine Salzbuger Leben der Vorstadt: Ein betonernes Heizkraftwerg, avantgardistisch mit Verfallsästhetik, ein neuer Eisenbahnbrückenschlag und einige, vermutlich in den 1980er entstandene Wohnquartieren die in die Jahre gekommen schienen. Auf dem Rückweg der imposante Blick auf die Festung Salzburg und die Kuppeln der Stadt.

Am Abend besuchte ich den Dom für den Aschermittwochsgottesdienst. Durch die großzügige Querverbindung am Festspielhaus vorbei, das innen erhellt wie eine verheißungsvolle Schatzkiste aussah, näherte ich mich den erleuchteten Türmen. Eine schwere Glocke verklang, aber die Nachschwingung hing noch für eine Viertelminute in der Luft. Das Innere war nur spärlich erleuchtet und erst kurz vor Beginn wurden die Strahler angeschaltet. Im Altarraum hatten sich die Ritter vom Heiligen Grab in ihren weißen Umhängen mit rotem Kreuz nebst zweier schwarz verhüllter Grabdamen versammelt. Dann betrat in einem großen Einzug der Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser das Gotteshaus. Der etwa 50-köpfige Domchor stimmte aus dem Buch der Weisheit das "Miseris omnium" an. Auf zwei Balkonen waren weitere vier Solisten platziert, die den Rufen Dynamik gaben. Zu Beginn der Fastenzeit ergriff der Bischof selbst das Wort, freundlich, den Menschen zugewandt, ohne intellektuellen Anspruch. Die Asche streute er mir im wahrsten Sinne des Wortes aufs Haupt, eine viel schönere Symbolik als die an Kriegsbemalung erinnernde rheinische Praxis der Stirnkennzeichnung.

Ich verlies den Dom recht erfüllt und betrat diese alpenländische Bühne mit herrlichen Fassadenfluchten einerseits und dem herrlich anzusehenden Häusersaum entlang der Salzach andererseits, die mich ein wenig an Florenz und Arno erinnerte, nur ohne Ponte Vecchio.

Das Symposium am nächsten Tag in den Räumen der schon gepriesenenen Universität erinnerte an herrliche Zeiten der Wissenschaft und beim Gang über Stiegen und die manchmal enge Marmorflure, über Arkadenhöfe in die Vorlesungssäle mit ihren steinernen Säulen beseelte.

In meinem Vorlesungssall stand ein wunderbar verzierter Kanonenofen, der nicht außer Dienst gestellt schien. Die Räume waren mit moderner Lichttechnik ausgestattet und auch mit aktueller Präsentationstechnik. So selbstverständlich, wie sich eine umfangreiche Präsentation auf einen kleinen Datenstab unterbringen lässt, so unglaublich erschien mir die Projektion meiner Gedanken in einem so festlichen Saal. Freilich, die Vergabgenheit ragte in Form des regelmäßigen Hufschlags und Fiakerlärm hinein, der dazu zwang, die Stimme regelmäßig zu heben. So verflog die Zeit, bald verschwand die Sonne und nach einem Abschlussvortrag empfing man die Teilnehmer in der sala terrena, einem Arkadenhof mit herrlich ausgemalten Kuppeldecken unter denen man ein festliches Kanapee- und Kuchenbuffet gerichtet hatte, dazu Wein-, Bier- und Fruchtsaftspezialitäten. Es war ein schöner Abschluss. Ich trat hinaus, um in der abendliche Ruhe über die Getreidegasse an Mozarts Geburtshaus vorbei den Rückweg anzutreten. Ein tschechischer Student, der am Vormittag meinem Vortrag gefolgt war, sprach mich an und wir gingen noch auf ein Bier in eines der trypischen Brauhäuser. Auch hier schien noch kein Systemgastronom den Versuch der Kommerzialisierung unternommen zu haben. Gesetzte Normalität, wohin man schaute. Hier eine Fritattensuppe, dort auch noch ein Kaffee, ansonsten Glaskrüge mit bernsteinfarbenen Bier. Ich erfuhr etwas vom Aufwachsen unter der Fahne des Kommunismus' und der Demokratie von Marek aus Brünn, der ein ganz passables Deutsch sprach. Stille lag nun um 10 Uhr abends über der Stadt. Durch einen der vielen Durchgänge gelangte ich zurück auf die Getreidegasse, passierte die edle Mozartkugelconfiserie Fürst und verliess durch den Mönchsbergtunnel das Schatzkästlein Salzburg.