Hamburg oder das Ende aller Modelleisenbahnträume





Wir brachen zu unserem Silvesterwochenende in Hamburg um Viertel vor sechs auf und konnten durch ausladende Belegung des Abteils die im Ruhrgebiet zusteigenden Ruhrpottpaargruppen mit Voralkoholisierung bis Hamburg fernhalten. Thea machte sich mit Gislinde bei Schmuddelwetter sicher in eine wärmende Teestube auf. Mit den Kindern besuchte ich - lang versprochen - die Modelleisenbahnausstellung in der Speicherstadt, ein wahrgewordener Männertraum im Maßstab H0. Das überaschende waren weniger die erstaunlichen Landschaften, die dort auf unüberschaubarer Fläche hingezaubert wurden, sondern die vielen kleinen Geschichten, die dort erzählt wurden. In einer Gebirgslandschaft standen Wanderer, Einheimische und der Weihnachtsmann an einem Klohäuschen an, in einen Sonnenblumenfeld liebte sich ein schütter bekleidetes Pärchen, während sich bereits der Mähdrescher näherte. Unweit davon ermittelte die Polizei im Fall einer Wasserleiche, in der Ferne brannte ein Wald und ein. Intercity rauschte an einem Rummel vorbei. Das Auge konnte dies alles kaum fassen.

Selbst Las Vegas, eine amerikanische Canyonlandschaft mit vielen hübschen Ideen, etwa einer Parade liessen staunen. Es wurde Nacht, die Lichter leuchteten und auf dem nahen Highway brausten die Trucks über die Asfaltbänder oder kamen an Ampeln zu stehen. Selbst in das Innere eines Bergwerks konnte man blicken und den Arbeitern mit ihren leuchtenden Stirnlampen bei der Sprengung zusehen, die Ella auf Knopfdruck auslöste. Das zu Tage Geförderte wurde in endlosen Zügen durch eine verschneite Landschaft abtransportiert und zu einem Ostseehafen gebracht. Und hier fand echter Schiffsverkehr statt auf wirklichem Wasser. Im klaren Meerwasser erblickte man Taucher, die nach Schätzen fahndeten und Wale, die durchs Wasser tollten. Als kleiner Gag war ein Unterwassertunnel für Züge eingerichtet worden.

Auch Hamburg war in vielen Details nachgestellt, am Erstaunlichsten vielleicht das Hamburger Volksparkstadion, vor dessen vollbesetzten Rängen das Lokalderby St. Pauli gegen HSV stattfand mit funktioniernder Videowand, fahnenschwenkenden Fans, Geräuschkulisse und lebendigen Spielständen. Auf einer Showbühne ein paar Straßen weiter konnte man den spaßenden Komedian Atze Schröder bewundern.

Auf zwei Etagen entsteht demnächst die Schweiz. Das Grundgerüst aus Holz mit einer sich über 8 Meter Höhenunterschied erstreckenden verschlungenen Gleisführung war schon beeindruckend. Schon jetzt arbeiten sich die Züge über unterirdische Spiralen ziemlich in die Höhe. Auch ein paar Einblicke in die Werkstatt konnte man nehmen. Kleine itralienische Dörfer, eine nachgebaute Fanmeile oder ein funktioniernder Autoscooter standen auf den Tischen. Außerdem Fotos und Bildbände von Alpenlandschaften, damit beim Modell nichts dem Zufall überlassen wird.

Klar, bei so viel Gewusel kann das Auge irgenwann nicht mehr und erschöpft verliesen Ella, Luis und ich die Speicherstadt. Normalerweise gibt man spätestens jetzt den Traum von der Anlage im Keller auf, aber paar Tage später verliert mancher Mann dann doch die Nerven und kleistert die erste Kibri-Bahnhöfe zusammen und merkt erst nach ein paar Wochen, das die Ehefrau das gemeinsame Heim bereits verlassen hat, ehe der erste Vollzug den Modellbahnhof Knuffingen ansteuert. Aber die Gefahr besteht bei uns nicht, wir haben keinen Hobbykeller!



Nach der Modelleisenbahnwuselei war ich für einen samstäglichen Passagenalleingang hinreichend konditioniert. Das stürmische Jahresendwetter lud ein den Weg durch die Passagen Hamburgs einzuschlagen, deren Zugänge durch mobile Berlinerstände markiert waren, wo man sich mit dem obligaten Hamburger Jahresendweckchen verziert mit Schornsteinfegern, Glücksschweinchen und Kleeblättern ins neue Jahr naschen konnte. Gosch und andere Fischfeinkostler hatten eine Handvoll Austern und Moet im Angebot und die Pöseldorfer belagerten stehtischeweise die inneren Kreuzungspunkte der Einkaufszentren. Beim letzten Tag des Jahres ging es ja nur vordergründig um das Einsparen der Mehrwertsteuer, vielmehr um Details wie das passende Burberryeinstecktuch, den Porschedesignmetabobohrer oder eine in feines Leder gefasste Golgscorecard. Aber überall glückselige Geschäftigkeit, den in den Tagen zuvor quollen tagesschau und heutejournal nur über vor Positivmeldungen.

Zurück im feinen Walddorf Volksdorf böllerte die jeunesse dorée bereits seit Tagen im Vorgriff auf üppige übertarifliche Taschengeldsteigerungen, die für 2007 in Aussicht stehen würden.

Bei Gislinde gab es eine exquisite Raukensuppencreation, die beim Edelitaliener im Kubus am Jungfernstieg nicht unter 'nem Fuffie auf den Damast gekommen wäre. Bei uns ging es nur wenig weniger gediegen zu, aber zum Abschluss gab es mit den Kindern und den Erwachsenen ein heiteres Unospiel.

Silvester hatte man mir die Teilnahme am schon zum 23. Male ausgetragenen Teichwiesenlauf gegönnt, der nach Volksdorfer Sitte auch kostümiert absolviert werden konnte. Ich umkreiste vier Mal die feuchten von Einheimischen gesäumten Wiesen, überholte Gnome, Hexen oder einen nur mit zu knappen Badetusch beklkeideten Saunisten, eine Halbe Runde von Luis eskortiert, die Ziellinie, wo als Lohn eine Urkunde, ein Berliner und Glühwein auf die Aktiven wartete. Das haute ganz schön rein, liess aber das Jahr sportlich zufriedenstellend enden.

Zum Jahresschluß hatte Gislinde die malerische Dorfkirche von Bergstedt ausgesucht. Ganz mit bäuerlichem Schnitzwerk und Ziegelaltar ausgestattet, an bot sich ein Hauch von heiler Welt. Aber die Gemeinde selbst litt noch an den Folgen der unfreiwilligen Denmission des Vorgängers kurz vor Weihnachten und der interimistisch eingesetzte Subsidiar beendete das Jahr mit einer Mischung aus Gebet, Orgelmeditation und Literaturlesung und bot damit allen etwas. Das war ein schöner Abschluss, den wir mit dem üblichen Silvesterauftakt mit Dinnerforone begannen und in einem gemütlichen Pfännchenessen am Tisch fortführten, ehe wir die bis Mitternacht verbleibende Zeit mit heiterem Kartenspiel überbrückten. Dank unserer Uhren erkannten wir 2007, denn wegen des Volksdorfer Dauerfeuers in den Tagen zuvor war an der Raketenabfeuerfrequenz kein eindeutiger Jahresbeginn erkennbar. Die Kinder entzündeten einige Wunderkerzen, wegen des starken Windes flogen manche Raketen ohnehin eher horizontal in 20 Metern Höhe.

Den Rückweg in unserer Schlafquartier traten wir auf den battaillonseise abgefeuerten Raketenresten ab, während letzte verbliebene Kräfte noch matt asthmatisch klingende Chinesenkracher absetzten.

Das Frühstück am Neujahrstag hatten wir zur besten Brunchzeit terminiert und so den Nachmittag frei für eine Hochbahnreise. Durch Hamburg, wo wir anfestlich beleuchteten großbürgerlichen Weihnachtsstuben vorbeiglitten, die Reeperbahn unterquerten und mit kühnen Schwung in den Baumwall schwenkten und den grandiosen Blick auf den Hafen genossen. Am Rathaus stiegen wir aus, statteten dem ersten Schnellburgerrestaurant in der Mönckebergstraße einen unbeholfenen, weil speisekartenunvertraut, Besuch ab und machten uns auf den Heimweg.

Bei Spaghetti, leichtem Wein und letztmaligen Kartenspiel beschlossen wir den Abend.

Gislinde hatte uns ein rafaelloleichtes Programm geboten, das Raum für Gespräche mit Thea und kleinen hausmeisterlichen Tätigkeiten für mich bot. Danke, liebe Gislinde.