Die Glaubensstele von Wachendorf

Eine Pilgerreise zur Bruder-Klaus-Feldkapelle nach Wachendorf



Feldkapellen kenne ich seit Kindertagen : Meine Großmutter ging mit mir an ihrem Heimatort im Sauerland in jede dieser kleinen steinernen Gebetsstätten, zum einen für ein Gegrüßetseistdumaria, zum anderen zum Zurechtzupfen der Blumen.

Meistens standen die Kapellen am Rande großer Gehöfte oder Ackerflächen und entsprangen gelobten Dankopfern. Erbaut waren sie alle mit den Materialen und im Stil der Gegend. Im Innern oft von schlichter Schönheit, bisweilen aber auch erstaunlich geschmackvoll mit kunstfertigen Bildnissen aus bäuerlicher Hand.

Im Laufe meines Lebens habe ich an vielen Orten eine rosenkranzvolle Anzahl dieser Kapellen aufgesucht, aber nie mehr über ihre Architektur nachgedacht.

Das "Plänchen"
Nun ereignete sich ganz in unserer Nähe, im Voreifeldorf Wachendorf, das eine Bauersfamilie am Rande ihrer Ackerfläche ebenfalls eine Feldkapelle zu bauen beabsichtigte. Doch statt der üblichen Wege zu gehen, schrieb man einen bekannten Schweizer Architekten an, fragend, ob dieser nicht "ein Plänchen" für eine Feldkapelle zeichnen könne, da er ohnehin regelmäßig in Köln weile, wo er den Bau des von ihm geplanten Diözesanmuseums Kolumba begleitete.

Die Antwort ließ länger auf sich warten, aber da die Kapelle dem heiligen Nikolaus von der Flue geweiht werden sollte, der der Lieblingsheilige der Mutter des Architektens war, erklärte sich Peter Zumthor bereit, die Planungen zu übernehmen. Zumthor bekannt für Unorthodoxes ließ seiner Planungsphantasie und Glaubensauffassung freien Lauf und schuf am Rande des Ortes Wachendorf auf einer kleinen Anhöhe mit weitem Blick auf die Voreifel bis zum fernen Siebengebirge einen einzigartigen Ort ländlichen Gebets.

Die Annäherung
Von Weitem sehen wir auf ein Pilgerradtour von Bonn kommend den markanten, blockartigen "Turm" in der Landschaft, eingebettet in sanfte Hügellinien vor der Kulisse von Wäldern, Äckern und verstreuten Höfen.

Der Weg führte über asphaltierte landwirtschaftliche Nutzwege vom Ortsrand bergan. Aus der Nähe gleicht die Kapelle dann schon eher einer freundlichen Version eines Getreidesilos. Doch weisen ein sorgsam gekieselter Weg, ein Zugangstor in Form eines schlanken, gleichschenkligen Dreiecks und viele regelmäßige "Löcher" in der betonierten Außenfassade sowie ein geschmiedetes kleines Kreuz bereits auf eine andere Bestimmung.

Im Innern
Wir ziehen die schwere Tür auf, gewahren eine kleine Stiftermedaille links vom Eingang



und treten zu unserer Überraschung in eine Grotte. Das Innere entspricht nicht dem blockartig-monolithischen der äußeren Erscheinung. Tatsächlich durchschreiten wir einen leicht nach links geschwungenen Gang der sich nach oben verjüngt und in einen zeltförmigen Andachtsraum mündet. Nach oben bleibt eine Öffnung zum Himmel, in die die Licht, Wind und Regen einfallen können.

Auf einer Stahlstele ein rudimentäres Bildnis des Heiligen Nikolaus von der Flue



eine schlichte Holzbank und ein Kerzen- und Opferstock. Der Boden ist aus grob behauenen Fels gebildet.

An all dem merkt man schon, hier handelt es sich um mehr als bloße handwerkliche Architektenkunst. Dem Mystiker Nikolaus von der Flue, der volkstümlich nur Bruder Klaus genannt wird, hat der Architekt mit einer außergewöhnlichen Verschalungstechnik einen außergewöhnlichen Raum geschaffen.

Während außen der Beton konventionell geschalt wurde, hat man im Innern mit unzähligen Fichtenstämmen jenen zeltartigen Raum und Zugang geschaffen. Diese - nach dem Trocknen freilich mit dem Beton fest verbundenen - Baumstämme hat man in Köhlermanier schwelen lassen. Der innere Raum wurde anschließend gereinigt und zurück blieben die Negativrundungen der Stämme und eine rußig dunkle Betonoberfläche.



Gebohrte seitliche Schächte, die im Innern mit einem Glaspropfen abgeschlossen wurden, spenden zusätzliches, diffuses, Licht.

Die theologische Deutung
Feldkapellen müssen ihrer Natur nach theologischen Fragen nicht standhalten, sondern nur die Mindestvoraussetzungen für einen sakralen Raum mitbringen. Aber aus laienhafter Feldkapellenbesuchersicht liegen zwei Deutungen auf der Hand. Das Innere erscheint wie der Mutterschoß, aus dessen Dunkel das Leben hervortritt. Zum anderen ist das Innere ein Grab, in das das Licht der ewigen Herrlichkeit bereits hineindringt.



Wir Pilger verweilen eine Weile, zünden Kerzen für jedes Mitglied unserer kleinen Familie an und beten, lauschem dem Wind und nehmen den noch frischen Geruch verkohlten Holzes auf.



Dann treten wir wieder ins Freie, vor diesen überdimensionierten "Feldstein" am Rande des Ackers. Der Stifterbauer Hermann-Josef Scheidtweiler selbst harkt derweil den gekiesten Weg und befreit ihn von weitaus kleineren Stolpersteinen. Die deutlich sichtbaren tagwerkweise aufgebrachten Betonschichten heben sich gegen die auftürmenden Wolkenberge ab.



Die aus dem hellen örtlichen Kies und Sand angerührte Beton lässt die Kapelle nun wie eine Lichtsäule in der Umgebung erscheinen.

Und hier, mitten in der bearbeiteten Naturlandschaft staune ich gläubig, wie sich Phantasie, Technik, Mystik und Glauben so wohltuend vereinigen. Es ist, als ob man in der technisierten Schale unserer modernen Welt am Rande eines Eifelackers ins Innerste von Gottes Herrlichkeit hineinschaue. Konnte man das von einer Feldkapelle erwarten?



MJS mit L. am 24.9.2007, 40 km vom Bonn-Ipp. bis zur Feldkapelle per Rad

Anfahrt zur Kapelle


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