Kurzklausur in Ettal oder Ein gutes neues Jahr!

Ihr Lieben,
Am Silvesterfest der Kirche bin ich seit einigen Jahren traditionell nach Ettal gefahren und auch in diesem Jahr hat es sich mit einem beruflichenTermin in München verbinden lassen. So traf ich am späten Freitagnachmittag in Ettal ein. Die Berge waren schon leicht gezuckert als ich der Bus in das auf 600 Meter Höhe liegende Graswangtal einfuhr und die mächtige Kuppel der Klosterbasilika auftauchte.
Vor der Klausur steht aber noch die Klosterpforte, in der ein eifriger Mönch den Zugang kontrolliert, bewacht vom Kreuz und einem aktuellen Portrait des Papstes, ehe sich die nur den Mönchen und deren männlichen Gästen vorbehaltene schwere Klausurtür öffnet, hinter der die Alltagswelt auf Wunsch verschwindet.
Über jenen langen barocken Gang geht es in den Gästeflügel, wo zehn einfache mit Nasszelle ausgestattete möblierte Zimmer zur Verfügung stehen. Auf dem Schreibtische eine angejahrte Handreichung zum klösterlichen Tagesablauf und die darin geäußerte Erwartung an die Gäste, an den Gebetszeiten wenigstens teilweise teilnehmen zu wollen. Dazu Hinweise zu den benötigten Gebetbüchern, die bei Neulingen aber regelmäßig ins Leere gehen, weil er in der Morgenhore oder Vesper zum ersten Mal erkennt, warum diese Bücher viele verschiedenfarbige Lesebändchen enthalten, deren virtuoser Gebrauch sich mir auch erst in vielen Jahren stetiger Übung erschlossen hat. Doch das ist die geringste Sorge, im Chorgestühl schwitzend wird einem bei größer Verwirrung diskret geholfen.
Ich stellte meinen Koffer ab und hörte..........nichts. Erst kurz vor 18 Uhr schlug die Hausglocke und mahnte zur abendlichen Vesper. Zuvor hatte ich meine Skiunterleibswäsche angezogen und machte mich mit dem Antiphonale III auf den Weg in die Basilika.
Der Weg dorthin ist unheimlich, denn nur spärlich beleuchtet und die Mönche säumen mit überzogenen Kapuzen in ihren schwarzen Gewändern in stiller Versenkung den Gang, ehe sie sich betend formieren und in den Kirchenraum einziehen. In einem festgelegten Betschema werden innerhalb von zwei Wochen alle Psalmen und einige festliche Texte mindestens einmal gebetet und durch kleine vorangestellte Versausschnitte umrahmt. Spätestens hier beginnt für mich das Eintauchen in die klösterliche Welt, die fern von allen Moden überdauert hat und dem Auge einen Anblick bietet, der sich 100 Jahre zuvor nicht viel anders geboten haben wird.
Nach diesem kleinen halbstündigen Abendgebet ziehen die Mönche zum Refektorium zum gemeinsamen Abendessen. Ein Klosterrefektorium ist im Grunde die Abbildung des Abendmahlssaales und schon deswegen beeindruckend, weil er mit Leben erfüllt ist. Statt einer langen Tafel sind die Tische in U-Form angeordnet. An der Stirnseite sitzt der Abt, der Prior des Klosters (eine Art Geschäftsführer unter der Mönchsgemeinschaft) und dann absteigend vom Eintrittsdatum die Mönche und am Ende die Gäste mit dem für deren Betreuung zuständigen Gastpater. Nach einem kurzen Tischgebet folgt durch den sogenannten Tischleser ein kurzer Ausschnitt aus der Heiligen Schrift und dann ein Lesetext, der von angemessener Unterhaltungsliteratur bis zu kurzweiligen Fachaufsätzen oder Chroniken reichen kann und in der Regel durchaus unterhaltsam ist. Das Essen wird grundsätzlich schweigend eingenommen und dient der Erbauung von Körper und Geist ( daher die Tischlesung).
Für mich ist das einer der angenehmsten Punkte im Tagesablauf, weil man sich erstens nicht unterhalten braucht und Essen ohne Reden ein besonderes Erlebnis ist. Es gibt nur das Essen und Getränke und sonst nichts.
Die Versorgung aller funktioniert nach einem wunderbaren Prinzip, das es ermöglicht, dass nur zwei Tjschdiener ( rollierendes System unter den Mitbrüdern) sechzig Personen im Nu versorgen. Die Speisen werden an mehreren Stellen der Tafel platziert und erstmals durchgereicht. Leere Schüsseln werden neuerlich aufgefüllt und ein zweites Mal durchgereicht. Man hat nur eine Chance zuzugreifen, wenn die Schüssel am Platz vorbeikommt. Das Prinzip funktioniert und dessen Einhaltung auch bei den Gästen wird diskret überwacht. Ebenso werden die säuberlich aufgegessenen Teller, die mit Brot auch von eventuellen Saucenresten befreit werden am Tischende lautlos zusammengestellt und von den Tischdienern entfernt.
Am Ende der Mahlzeit wird aus dem Nekrologium der Benediktinerklöster vorgelesen und man erfährt z.B., wer am Folgetag von 256 Jahren in einem bayerischen Bendiktinerkloster verschieden ist.
Es folgt eine halbstündige Rekreation, d.h. das Sprechverbot wird aufgehoben und es wird geschafkopft oder miteinander geplaudert. Um 19.30 Uhr ertönt ein letztes Mal die Hausglocke und ruft zur Komplet, dem tagesabschließenden Gebet, wiederum in der kalten Basilika. Neben der Fortführung des Psalmbetplans besteht diese aus einem Nachtgebet und einem abschließenden Marienlob, bei dem sich die Mönche um das marmorne Gnadenbild der Muttergottes aus dem 14. Jahrhundert scharen, dessentwegen Ettal überhaupt entstand. Danach Stille bis zur Vigil am nächsten Morgen um 5.15 Uhr.
Ein Teil des Klostergeheimnisses ist der festgelegte Ablauf, der den Tag strukturiert und Maß gibt. In diese Ordnung erreichen Psalmen und Schriftworte den Menschen je nach Stimmung immer wieder anders. Auf dem Weg zur etwas wärmeren Hauskapelle, in der die morgendliche Betstunde stattfindet, bin ich gespannt, wie die altbekannten Texte auf mich wirken, welche Gedanken sie diesmal auslösen mögen und welche Worte mich in der immerwährenden Klosterstille begleiten.
Eine willkommene Abwechslung bis zur Mittagshore und dem anschließendem Essen ist der lange Zeitraum von 8-12 Uhr, der sich vielfältig nutzen lässt.
Ich wanderte nach Oberammergau, dem schönen Passionsspielort, in der die Männer, als ich im Januar zuletzt noch dort war für das diesjährige Spiel in langer Haarpracht und Rauschebärten durchs Dorf gingen. Die Passionsspiele endeten im Oktober und der Ortsfriseur hat das letzte Haupt gestutzt. Nun war vorwinterliche Normalität eingekehrt, die Straßenwacht markierte die Fahrbahnränder mit Stäben als Wegweiser für die Schneepflüge des kommenden Winters, die Häuser am Straßenrand wurden winterfest gemacht, in dem die der Straße zugewandten Mauern mit festen Zeltplanen gegen Spritznässe geschützt wurden.
Am Nachmittag feierte einer der Mönche seine goldene Profeß und nach einem feierlichen Gottesdienst war das Kloster, des Jubilars Gäste und die Klostergäste zu einem Kaffee im Chinesensaal, einem feierlichen, für die Allgemeinheit zugänglichen Festsaal mit feiner chinesischer Wandmalerei und venezianischen Glasleuchtern, eingeladen. Kaffee und guter Kuchen aus der Klosterhotelbäckerei wurden gereicht und zwei Mitbrüder umrahmten den Nachmittag musikalisch.
Nach meiner langjährigen Erfahrung kann man mit einer Feier immer rechnen, die Gemeinschaft ist noch groß und im Leben eines Ordensmannes gibt es viele Stationen. Die Art, wie solche Feste begangen werden, haben aber etwas antiquiertes an sich und man wäre nicht überrascht, wenn ein Mitbruder als moderne Errungenschaft eine Schelllackplatte aufgelegt hätte. Der Kaffee wird in betagten Blechkannen ausgeschenkt und im Vorzimmer steht ein aus den Anfangszeiten der Telefonie stammender Apparat, der tatsächlich für die Hauskommunikation noch eingesetzt wird.
Zeit für einen Rückzug in die eigene Zelle. Über einen sternklaren Himmel geht der Vollmond über den Gipfeln der Ammertaler Alpen auf und wir wähnen uns bar jeglicher elektrischer Beleuchtung in einer fernen Zeit. In Wirklichkeit geben wir uns nur einer Illusion, der Romantik eines Städters hin, der diese Landschaft nie mit seinen eigenen Händen bearbeitet hat, das Thermostat seiner Zelle betätigt und notfalls eben doch den Lichtschalter drückt.
Aber alles zusammen macht den Zauber Kloster aus, der, wenn sich diese Faszination auch noch mit dem eigenen Glauben verbindet, eine unschätzbare Kraftquelle ist.
Und wen ich mich augenblicklich in der Rohrpost der Neuzeit, den Hochgeschwindigkeitsintercityexpress, befinde, bleibt die Freude dieser schönen Kurzklausur von Freitagnachmittag bis Sonntagnachmittag noch wirksam. So gestärkt beginne ich das neue Kirchenjahr, das die Städte mit ihren vorzeitigen Adventsmärkten ja bereits eingeläutet haben und wünsche auch Euch, ein schönes neues Jahr!